Pilze sammeln

Was suchen wir, wenn wir Pilze sammeln? Bloße Nahrung? Einen Geldwert? Oder Muße, Erholung, Abstand? Vielleicht Anerkennung für unseren Fund?

Am besten, ich gehe dieser Frage während eines Pilzganges nach.
Mit meinem Pilzkorb aus Weidenruten am Arm und dem Pilzmesser meines Vaters. Wer mit den Augen sucht, der findet auch im Geiste. Oder anders gesagt: Wer Pilze sucht, der findet mehr als nur Pilze. Nämlich Antworten.

Schon im Alter von vier, fünf Jahren ging ich mit meinem Vater in den Wäldern des westlichen Vorharzes Pilze sammeln. Das war zu Beginn der 60er Jahre. Damals bildeten Pilze nicht nur für unsere Familie noch einen bedeutenden Bestandteil des überlebenswichtigen Wintervorrats.


Foto: Die Drillinge Lea, Tim und Tom Sommer aus Merseburg in Sachsen-Anhalt haben gut Lachen und Lutschen: Mama und Papa bringen ihnen von Kindesbeinen an das Pilzesammeln bei.


Tiefkühltruhen gab es noch nicht. Deshalb kochten wir unsere Pilze ein. Da schwitzte die Küche aus allen Poren und das ganze Haus duftete nach Pilzen. Abends bog sich im Gewölbekeller aus Bruchsteinen eines der stattlichen Regalbretter unter der Last der Züchner-Dosen. Sie waren geordnet nach Steinpilzen, Pfifferlingen und Mischpilzen.


Das pinkfarbene Pilzmesser - Kleine Geschichte eines großen Verlustes






Brot des Waldes

Die Erzählung "Brot des Waldes" von Vitali Kostyljew ist ein wunderbares kleines Lehrstück über das Pilzesuchen. Hier geht's zu

Teil 1: Was ich alles nicht wusste

Teil 2: Bei welchem Wetter in die Pilze?

Teil 3: Der Jäger liest meine ungenießbaren Pilze aus





In jener Zeit war Pilze sammeln fast noch ein Muss. Schwammerl waren kostenlos, gesund und sättigten. Aber auch den Sammlern von damals war durchaus bewusst, dass bei einem Pilzgericht Suche und Ernte mit zum Genuss gehören.

Denn wenn wir unser Taschenmesser oder Pilzmesser einstecken und aufbrechen zum Pilze sammeln, machen wir uns dann nicht auf, unser Glück zu suchen?


„Die Pilze suchen Dich“

Wenn am Rande eines entlegenen Waldweges Meter voraus plötzlich eine Rotkappe wie mit flammender Baskenmütze salutiert, wenn im dämmerigen Fichtendickicht auf einmal eine Steinpilz-Gesellschaft stramm steht: was von dem, das wir gesucht haben, haben wir in diesem Augenblick gefunden?

Der Pilzsammler sucht im Geheimen sich selbst. Dazu entkoppelt er sich von Alltagsgewohnheiten. Er tauscht Auto, Werkstatt, Schreibtisch, Fernseher, Freizeitsport und anderes mehr gegen einen ruhigen Gang mit dem Vorsatz zu finden. Indem er sich von Hektik und Stress entschleunigt, vereinfacht er sein Leben enorm.

Er wendet sich seinem Instinkt zu. Er gibt sich der Zufälligkeit preis. „Nicht du suchst die Pilze, die Pilze suchen dich“, lautet ein altes Tiroler Sprichwort.


Foto: Suchten wir diese prächtigen Steinpilze? Oder sie uns? Um das Tiroler Sprichwort rankt sich Philosophisches. Soviel aber dürfte feststehen: Wer sie im Korb hat, ist einer von ihnen. Nämlich ein Glückspilz.


Ja, im unwägbaren Territorium „Wald“ gelten andere, archaische Gesetze. Während seiner Pilzpirsch ist der Sammler ganz auf sich allein gestellt, spielt er für ein paar Stunden, den halben oder den ganzen Tag den Überlebenskampf nach.

Modellhaft - und doch mit spürbaren Folgen. Wer findet beim Pilze sammeln, der wird satt. Wer leer ausgeht, wird seinen Korb im Lebensmittelladen auffüllen müssen. Wer Pilze sucht, kämpft unentwegt gegen Ergebnislosigkeit an. Und auch gegen Entblößung: Wer möchte am Stammtisch schon eingestehen, mit leeren Händen heimgekehrt zu sein?


Steinpilze noch im Dezember

Der Wert des Fundes bemisst sich nach der aktuellen Marktlage. Ein Korb voller Steinpilze zur rechten Zeit kann ein kleines Vermögen wert sein. Einige der auf dieser Website vorgestellten Spürnasen haben noch tief im Dezember Steinpilze geerntet.

Der gut gefüllte Korb hat aber auch beträchtliche immaterielle Werte.

Der Finder hat ein intimes Verhältnis zu jedem einzelnen Pilz gewonnen. Es hängt daran ein Entdeckererlebnis, das im Laufe der Jahre und Jahrzehnte eine einzigartige Erinnerungspersönlichkeit schafft.

Auch wohnt dem gefüllten Korb eine starke Symbolkraft inne. Er versinnbildlicht Sammelritus, Speisegewohnheiten und den Lebensalltag unserer Ahnen. Die Pilzsuche ist in der Moderne der vermutlich einzig verbliebene anthropologische Reflex aus der Zeit der Sammler.




Foto links: Ein gefüllter Pilzkorb bietet mancherlei Sinnbild: Er ist ein Zeugnis naturnaher Versorgung, er gibt Aufschluss über Speisegewohnheiten und er leitet unsere Gedanken zum Sammeltrieb unserer Ahnen. Die dominierenden Pilze oben mit den grauen Lamellen sind Exemplare vom Kuhmaul (Gomphidius glutinosus).




Das Bild von zusammengetragenen Pilzen leitet hinab in die Tiefen der Längstvergangenheit. In ihr sind schon die Väter unserer Väter durch die Wälder gestreift und haben nach den begehrten Fruchtkörpern Ausschau gehalten.




„Schwer ist es, auf Pilze zu verzichten“

„Leicht ist es, Silber und Gold, Mantel und Toga zu verschenken; schwer aber ist es, auf Pilze zu verzichten.“ So schrieb der römische Dichter Marcus Valerii Martialis im Epigrammaton Liber (XIII, XLVIII) bereits im 1. Jh. n. Chr..

So ist der gefüllte Pilzkorb auch ein Symbol archaischer, also uralt-einfacher Lebenssicherung. Suchen wir mit den Pilzen vielleicht auch die Urform unserer Versorgung? Und vergewissern wir uns, anders herum, auf diese Weise nicht: Wie entfremdet, wie gesichtslos ist die Massenware, die wir in den Regalen der Supermärkte zumeist vorgesetzt bekommen?

Tief berührt uns unter den immateriellen Aspekten der ästhetische: ein Pilzkorb im hohen Herbst mit der alles umspannenden Farbpalette der Röhrlinge, Schirmpilze, Ritterlinge, Trichterlinge, Träuschlinge, Reizker, der Stachelpilze, der Leistenpilze von dottergelb bis tiefschwarz und - vor allem - dem bunten Volk der Täublinge kann in einen wahren Freudentaumel versetzen.

Im Korb voller Mannigfaltigkeit und Farbenpracht, gegen die die Monokollektion von Steinpilzen einfach abfallen muss, findet sich das Antlitz des reifen Pilzsuchers wieder. Jahre, in der Regel Jahrzehnte arbeitete der an seiner Vollendung.


Foto: Diese Pilzkollektion kommt einem Meisterbrief gleich: Hans-Heinrich Kunde (siehe „Heilpilze“) aus Ribnitz-Damgarten an der Ostsee hat hier 33 verschiedene Arten Herbstpilze für eine Pilzsuppe zusammengestellt.


Pilze sammeln heißt, Fallensteller zu sein

In langer Zeitspanne hat sich in ihm ein Haudegen herausgebildet. Aber er ist noch viel mehr als nur ein Kundiger und Heimlichgänger. Er ist auch Fallensteller und falscher Fährtenleger. Geschickt verbirgt er seine Kenntnisse und Möglichkeiten hinter nichts sagenden, harmlosen oder in die Irre führenden Erörterungen.

Bis ins feinste Detail haben Pilzsucher die Schatzkarte ihres Lebens vor ihrem geistigen Auge. Funde von vor 50 und mehr Jahren wirken in Erzählungen derart gegenwärtig und vital, dass sie von heute früh gewesen sein könnten. Sorgsam verteidigen und hüten sie ihre Schatzkarte.




Nahe München gibt es einen Pilzsucher, der seine Konkurrenten seit 30 Jahren regelmäßig im April hinters Licht führt. Er versichert ihnen, nur an entlegensten Stellen dürften sie darauf hoffen, Morcheln zu finden. Und schickt die Arglosen in den tiefsten Wald hinein. An vielen Plätzen, nur nicht tief im Wald, werden sie auf Morcheln stoßen.


Pilze sammeln als Relikt des Überlebenskampfes

Ein anderer, ebenfalls aus der Nähe Münchens, lag auf dem Sterbebett, wo er seiner Ehefrau das Schweigegelübde abrang, sie werde niemals preisgeben, wo sich ihr geliebter „Donauwellenwald“ befinde. In ihm, den sie seines welligen Terrains wegen so benannt hatten, hatten sie über 30 Jahre hinweg die meisten ihrer Steinpilze gefunden.


Foto: Wenn er kein Original von einem Pilzsammler ist: Karl Berchtold aus Gauting/Obb. hat in einer Fichtenschonung zwei Prachtexemplare von Steinpilzen gefunden. Für so erfahrene Sammler wie ihn kein Zufall.


In einem Fall hoffte ich, einen hoch originellen Pilzsammler aus dem Bayerischen Wald porträtieren zu können. Er lehnte ab mit der freundlichen Begründung, er sei lediglich „ein ganz monotoner Steinpilz- und Reherl-Sammler", den alles andere nicht interessiere. Seine übertriebene Höflichkeit machte mich stutzig...

Als ob ich es geahnt hätte: An der geschützten Rückseite seines Hauses trockneten, picobello auf der Gartenschnur aufgereiht, beste und seltene Speisepilze. Allein dieses Fotomotiv – der „überführte“ Mann wünschte leider keine Aufnahme – wäre von dokumentarischer Einzigartigkeit gewesen.

Pilze sammeln in ursprünglichster Ausdrucksform: Nie zuvor war mir ein derart listiger, unerschrockener und unverhohlen eigennütziger Pilzsucher begegnet. Dieser falsche Fährtenleger bewahrte in sich alle Merkmale des erfolgreichen Überlebenskampfes. In diesem faszinierenden Waldschrat hatte die uralte Seele des Pilzsammlers unversehrt überlebt.

Ende Kapitel Pilze sammeln


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