Ein Pilzwald, wie verzaubert:
Totholz, Tümpel, Poggenstöhle



Ja, es ist ein wahrer Pilzwald, das Altheider Revier!

Allein schon die häufigen atmosphärischen Stimmungswechsel bewirken eine bemerkenswerte Dramaturgie. Bei Sonnenschein wirkt der Wald einladend. Davon kann aber schon an grauen Allerweltstagen kaum noch die Rede sein. An Regentagen rät dieser Wald heilsam dazu, ihm lieber fernzubleiben.

Wie gierige Schluckmäuler lauern dann die rabenschwarzen Wasser unzähliger Tümpel im Dunkel der Bäume. Die scheinen sich zu Trupps mit finsterem Ansinnen zusammenzurotten: Wollen nicht ihre knorrigen Äste jeden Moment grapschen und zupacken? Glotzen nicht hinterrücks kürbisgroße Baumaugen? Doch in dem Moment, da man sich umwendet, sind sie verschwunden...



Foto links: Und plötzlich taucht tief im Fichtenwald eine knorrige Eiche auf. Nicht nur, dass sie andere Lichtverhältnisse schafft: „Jedes Mal bin ich darauf gefasst, dass Gnome oder Hexen diese geheimnisvolle Bühne betreten“, sagt Hans-Heinrich Kunde (re.). Ob er deshalb vorsichtshalber zwei Bekannte mitgebracht hat? Klaus Ellmer, Werner Knitschky und Kunde (von links) suchen den seltenen köstlichen Würzigen Tellerling.




Ab November kann eine beklemmende Untergangsstimmung herrschen. Stimmungen dieser Art waren es, die das weltläufige Bild von Mecklenburg-Vorpommerns Wäldern als mystische Landschaft geprägt haben.

Überall dräuen Düsternis und Bangnis, Furcht und Fährnis, Vergehen und Tod. Wie kann ein Wald soviel Melancholie verkraften? Und einer kann es doch nicht lassen...

Hans-Heinrich Kunde schnürt mal wieder in einer der sumpfigen, pitschnassen Wiesen einen Zaun entlang, hält auf einen trostlos-ungastlichen Waldabschnitt zu.



Pilze als Ausdruck der geheimnisumwitterten Landschaft

Trostlos? „Ich mag es, dass das Wesen unserer Landschaft direkt zur Sache kommt und sehr ausdrucksvoll Gestalt annimmt“, sagt er. Und erörtert beim Weitergehen, dass diese Landschaft das Verhältnis der Menschen zu Pilzen so stark geprägt habe wie wohl nirgendwo anders in Deutschland.

Denn in Hinterpommern, das heute zu Polen gehört, und in Mecklenburg-Vorpommern hatten Pilze als Nahrungsmittel bis zum Ende des zweiten Weltkrieges praktisch keine Bedeutung. Im Gegenteil, sie waren verpönt.

Hans-Heinrich Kunde: „Pilze waren für die Leute „Poggenstöhle“, Stühle also, auf denen die „Poggen“, die Kröten, hockten. So seien speziell Pilze in Mecklenburg-Vorpommern Ausdruck der magisch-geheimnisumwitterten Landschaft gewesen.

„Mit Pilzen verband man Kröten, Giftmischerei, Magie und Hexerei. Sie waren für unser düsteres Land mit seinen skurrilen Baumformen, seinen verwunschenen Mooren und teils unheimlich anmutenden Nebelstimmungen genau die richtige Beigabe.“


Foto: Selbst riesige Baumwurzeln mit Erdreich wecken das Interesse von Hans-Heinrich Kunde. Immer wieder zieht es ihn zu Bäumen hin, die der Wind geworfen hat.


So fand die mystische mecklenburgisch-vorpommersche Landschaft auch Eingang in die Seelenlandschaft der Menschen.

Die Menschen seien, so Kunde, stark in Richtung Aberglauben geleitet worden, der zum Teil bis heute anhalte – hartnäckig sogar. So würde man Krankheiten noch heute „bepüstern“, das heißt besprechen.

Passend zur Rückständigkeit zitiert Kunde Reichskanzler Otto von Bismarck, der gesagt haben soll: „Sollte die Welt untergehen, ziehe ich vorher nach Mecklenburg. Da kommt alles mit 50 Jahren Verspätung.“

Erst nach Ende des 2. Weltkrieges, als Vertriebene aus Ostpreußen, Schlesien, Böhmen und Mähren sesshaft wurden, „hat die Pilzkenntnis Einzug bei uns gehalten“, so Kunde. Die fachlich Besten seien mit Abstand die Sudetendeutschen gewesen, bei denen Pilze von jeher ein wichtiges Zubrot waren. „Sie kannten unzählige Sorten“, so Kunde.



Zwei Frauen waren die Pioniere der Pilze

Doch die Pilz-Pioniere waren keineswegs kraftstrotzende Kerle. Nein, zwei Frauen, erinnert sich der Pilz- und Kräutermann Kunde, seien in Mecklenburg-Vorpommern bahnbrechend für die Verbreitung und Popularität des Pilzsammelns gewesen.

Das war vor allem seine Prüferin Elisabeth Neumann, eine gelernte Schneiderin. Sie führte in Ribnitz-Damgarten von 1955 bis 1980 Pilzberatungen durch.

Bis ins höchste Alter besuchte Kunde sie in ihrer Wohnung, um mit ihr über Pilze zu debattieren. Frau Neumann habe ihr Wissen hauptsächlich einer Frau Schmeckies aus Ostpreußen zu verdanken gehabt.


Foto: Besuch bei seiner Lehrerin: Hans-Heinrich Kunde im Gespräch mit der betagten Elisabeth Neumann in deren Wohnung. 25 Jahre lang war sie Pilzberaterin in Vorpommern. Bei vielen Menschen weckte sie erst das Interesse an Pilzen und vermittelte ihnen eine immer breitere Artenkenntnis. Sie starb im Alter von 98 Jahren.

Eine Stiftsdame als Pilzkennerin - das war vielen verdächtig

Bereits vor dem 2. Weltkrieg habe Olga von Oertzen, letzte Stiftsdame des einstigen Klarissenklosters von Ribnitz-Damgarten, leidenschaftlich Pilze gesammelt. Auf dem Klosterhof erinnert heute eine Skulptur, die Olga von Oertzen Pfeife rauchend zeigt, an die unkonventionelle Adelige. Sie starb 1961.

Kunde: „Weil sie Pfeife und Zigarren rauchte und auch noch Pilze suchte, erschien sie vielen Ribnitzern verdächtig. Das alles geziemte sich nicht für eine Stiftsdame. Frau von Oertzen und ihr Hund 'Optimus' wirkten auf die Ribnitzer Bürger ausgesprochen geheimnisvoll.“ Das passte gut zu so manchem gespenstischen Pilzwald.

Nach der Damenriege kam die Reihe an Hans-Heinrich Kunde. Es gelang ihm, das Interesse für Pilze gar noch zu steigern. Nicht ohne Stolz sagt er: „Heute ist sonntags in dem einen oder anderen Pilzwald manchmal mehr los als wochentags in Ribnitz auf dem Marktplatz.“

Wie eben im Altheider Revier, diesem geheimnisumwitterten Pilzwald. In ihm lässt er sich zu gerne im stockenden Nebel von großen Baumaugen anglotzen. Oder er entwischt denkbar knapp den grapschenden Ästen. Über 50 Jahre sucht er in den dämmerigen Gründen nun schon Pilze – erwischt hat ihn noch keiner der bedrohlichen Fangarme.


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