"Faszination Pilze": Die Krönung
jahrzehntelanger Pilzbegeisterung



Das Prachtbuch Faszination Pilze von Felix Labhardt (Fotos) und Till Reinhard Lohmeyer (Text) begeistert mit beiden, Fotos und Texten. Es ist kein reiner Foto-Bildband. Auch wenn es der großformatigen, brillianten Fotos wegen auf den ersten Blick den Eindruck erweckt.




Allein das Umschlagbild lässt uns träumen: Buchenringrüblinge (Oudemansiella mucida), durchscheinend im warmen abendlichen Gegenlicht. Anzutreffen sind sie u. a. in Parkanlagen, in denen es noch alte Rotbuchen gibt. Das Foto ist wie ein Versprechen für einen „Blick in eine rätselhafte Welt“. Und das Buch löst sein Versprechen meisterhaft ein.



Das Buch ist vielmehr eine Mischung aus beiden. Denn auch die Texte sind ein Erlebnis für die Sinne; sie gegenüber den Bildern in den Hintergrund zu stellen wäre dem Buch nicht annähernd gerecht. Lohmeyer, der nicht nur Mykologe, sondern auch ein Romanschreiber und literarischer Übersetzer von Rang ist, schreibt ernst und humorvoll, lauschig und duftig, informativ und – immer mitreißend.

Ja, vieles von dem, was wir in Faszination Pilze lesen können, hätten wir anderswo nie erfahren. Zum Beispiel, dass Morcheln gerne auf Flächen wachsen, auf denen Altöl hingekippt wurde. Oder dass sie nach dem Krieg aus verrottenden Matratzen in zerbombten Häusern wuchsen. Das erzähle man denen, die ihr Leben lang vergeblich den köstlichen Morcheln nachgestellt sind…

Mit dieser Kombination –  Fotos voller Magie und Texte voll spannenden Wissens und Sinnengenuss – zählt Faszination Pilze zu den wenigen Pilzbüchern, die, weit über die reine Bestimmungsliteratur hinaus, den Olymp der Pilzpoesie erklimmen.

Bücher dieser Art führen uns unentrinnbar hin zum Hobby der Pilze, vertiefen unsere Neigung; sie reißen mit und sind Überlebensgaranten während der pilzarmen Winterzeit.



Aus dem Inhalt

Um einen Eindruck von der Wissenstiefe und damit Exklusivität von Faszination Pilze zu geben, tauche ich in nur zwei der acht Kapitel ein. 

Kapitel: Die Parfümerie der Pilze

Dieses Kapitel in Faszination Pilze bereichert nicht nur unser Wissen, sondern berührt unsere Sinne.

Stundenlang fährt der Autor einem Mykologenteam in Mittelschweden hinterher, nur um an einer Salweide, von Mücken zerstochen, endlich jenen nach Weihnachtsgebäck mit einer Aniskomponente duftenden Pilz aufzuspüren, den hierzulande kaum jemand kennt: Der Nördliche Anisporling (Haploporus odorus).

Der stark duftende Baumbewohner der Taiga sowie des Nordens Finnlands und Norwegens hat hier seinen südlichsten und westlichsten Vorposten. Keinem Geringeren als dem großen Pflanzensystematiker Carl von Linné zeigten die Ureinwohner während seiner Lapplandreise 1732 diesen Pilz und berichteten, dass die männlichen Lappländer sein „Parfüm“ dazu nutzten, die Gunst der Frauen zu gewinnen.

„O lächerliche Venus…, du musst Dich hier mit einem saftlosen Pilz begnügen“, wo sie doch sonst mit Gold, Silber und Seide beschenkt würde, spottete der Gelehrte.
 
Wir lernen sodann, dass wir nicht in die Taiga reisen müssen, um herrlichen Anisduft von Pilzen genießen zu können. Den bieten zum Beispiel auch der Anis-Zähling (Lentinellus cochletaus) oder die nur an Weiden vorkommende Anis-Tramete (Trametes suaveolens) - manchmal gleich in hundertfacher Stückzahl mit betörender Duftwolke, besonders am Abend. Am penetrantesten in dieser Richtung ist ohne Frage der Grüne Anistrichterling (Clitocybe odora).



Foto links: Ein Grüner Anistrichterling, von oben gesehen. Der essbare Pilz duftet beinahe penetrant nach Anis und Lebkuchengewürz. Und genau so schmeckt er auch, weshalb er sich nicht für Mischpilzgerichte empfiehlt. Zu sehr dominiert er alle anderen Geschmacks- und Würzanteile.




Der Knoblauchschwindling (Marasmius alliaceus) riecht nach Knoblauch, die essbaren Rötlinge (Entoloma) wie auch der Maipilz (Calocybe gambosa) angenehm nach frischem Mehl, der Seifenritterling (Tricholoma saponaceum) nach Waschküche, frische Pfifferlinge (Cantharellus cibarius) fein und der Orangebecherling (Aleuria aurantia) kräftig nach Mirabellenkompott.

Kein Bestimmungsbuch schreibt über die Geschichte mit dem Duft nach Mirabellenkompott beim Orangebecherling - und damit über die Geruchsverwandtschaft zum Pfifferling. „Geruchlos“,  „geschmacklos“, „bedeutungslos“ heißt es in der Literatur. Jeder mag darüber hinweglesen.

Einem wie Lohmeyer aber ließ das keine Ruhe. Er hakte nach, lange vergeblich - und dann endlich doch mit dem ersehnten Ergebnis. Der Schotte William Philipps (1822 - 1905) hatte in seinem nahezu vergessenen „Manual of the British Discomycetes“ („Handbuch der Britischen Schlauchpilze“) auf eben jene Duftgleichheit mit dem Pfifferling exakt (und vergnügt) hingewiesen.



Kapitel: Wilde Pilze in Gärten und Parks

In diesem Kapitel zeigen die Verfasser, dass Garten- und Parkanlagen ein Paradies für Pilze sein können. So mancher Art, die wegen des immer massiveren Holzeinschlags in den Wäldern keinen Lebensraum mehr findet, sind Parks und alte Gärten zum Rückzugsgebiet geworden. Hier finden sie noch die von Stickstoff verschonten Partnerbäume in strotzend-gesunder Alterswürde, mit denen sie eine Mykorrhiza bilden.

So der Wurzelnde Bitterröhrling (Boletus radicans), dem Rotbuchen gar nicht alt genug sein können. Alle paar Jahre feiert er ein Massenaufkommen im parkähnlichen Garten einer Gründerzeit-Villa bei mir um die Ecke.

Täublinge (Russula) marschieren in innerstädtischen Oasen gleich in Heerscharen auf; oftmals werden auf kleinster Fläche mehrere Dutzend verschiedener Arten gezählt. Darunter so köstliche wie Frauen-, Speise- und Grüner Heringstäubling.

Lohmeyer beschreibt sodann das phänomenale Pilzaufkommen im Kurpark von Niendorf an der holsteinischen Ostseeküste. Dort, nur 300 Meter von der Ostsee entfernt, wurden auf lediglich drei Hektar unter alten Eichen, Rot- und Hainbuchen, Birken, Haselsträuchern und diversen Nadelbäumen 242 Arten Großpilze gezählt, von denen 49 auf der Roten Liste standen. 

Auch lesen wir, dass es den Nelkenschwindling (Marasmius oreades) sowohl auf Helgoland als auch auf Almen im Hochgebirge gibt. Und wir erfahren, woher der lateinische Name stammt: Der Brite James Bolton (1735 – 1799), der eines der ersten farbigen Pilzbücher der Welt verfasste, benannte ihn nach den Oreaden, den Reigen tanzenden Bergnymphen aus der griechischen Mythologie.

Wir Praktiker wissen: Nelkenschwindlinge lieben den Tanz im Hexenring oder im Halbkreis.

Fazit

Die Einblicke in einige Aspekte von Faszination Pilze mögen verdeutlicht haben:

Wir haben es hier mit einem handverlesenen Pilzbuch zu tun. Die Recherche in fremdsprachiger historischer Fachliteratur, die so manchem Wissen zugrunde liegt, beansprucht viel Zeit, Fleiß und Geduld. In dem Buch verbergen sich Jahrzehnte an Arbeit und Aufwand; eine Zeit, in der manch einer, der still im Hintergrund mitgewirkt hatte, verstorben war.

Das Buch ist eine Krönung des Schaffens von Till Reinhard Lohmeyer. Im Einklang mit den bestechenden Fotos von Felix Labhardt bietet es bibliophilen Hochgenuss von der ersten bis zur letzten Seite.

Wer die Pilze liebt, wird das Buch Faszination Pilze ohne Wenn und Aber lieben. Dafür gibt es, unantastbar, die

Note 1


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