Dem Pilzexperten Heinrich Holzer(†) und Mitarbeitern gelang mit Fadenwesen. Fabelhafte Pilzwelt ein großer Wurf. Ich gehe die Besprechung dieses Pilzbuches bewusst naturnah an.
Stellen wir uns eine gefräßige Raupe im Wald vor. Sie frisst und frisst – und verschlingt auch eine winzige Pilzspore. Die sitzt nun in der Raupe und beginnt zu keimen. Natürlich würde die Raupe sie gerne loswerden. Doch sie beruhigt sich, denn: Die Pilzspore sendet an das Abwehrsystem der Raupe einen Stoff, der ihm signalisiert: Keine Angst, ich tu dir nichts.
Einverstanden, reagiert die Raupe. Worauf die Spore einen Pilzfaden in die Raupe legt. Die frisst weiter und sucht sich bald ein geschütztes Plätzchen, um sich in Ruhe verpuppen zu können.
Nun naht die Stunde des „Raupenpilzes“. Genau dann nämlich, wenn sich die Puppe zum Schmetterling verwandeln will, beginnen sich seine Enzyme durch die Puppe zu fressen. Sie hüllen sie vollends aus, zersetzen sie. Es wird keinen Schmetterling geben.
Stattdessen bildet der Pilz nun bald seine Fruchtkörper an den Hüllresten und dem Substrat, in dem die Raupe liegt, um seinerseits Millionen von Sporen bilden zu können.
Der Pilz, der dies schafft, ist die Puppenkernkeule, lateinisch Cordyceps militaris. Wissenschaftler interessierten sich für den Botenstoff, der das Immunsystem der Raupe zu überlisten vermag.
Sie hatten eine Ahnung – und siehe da: Inzwischen wird dieser Stoff unter dem Namen Cyclosporin dazu verwendet, bei Menschen, die ein fremdes Organ eingepflanzt bekommen, das Immunsystem zu unterdrücken. Damit das fremde Organ nicht abgestoßen wird. Cyclosporin ist ein so genanntes Immunsuppressivum, das bei Organtransplantationen und bei Autoimmunkrankheiten eingesetzt wird.
Der Pilzliebhaber und Naturfreund Heinrich Holzer(†) (Foto links) beschreibt die kleine Raupenpilzgeschichte in seinem wunderbaren Pilzbuch Fadenwesen. Fabelhafte Pilzwelt, Freyung 2011 (Edition Lichtland).
Das Buch ist deshalb wunderbar, weil es Pilze nicht nur in fantastischen Bildern, sondern aus bislang vernachlässigten Blickwinkeln zeigt: Pilze als Lieferanten von Wirkstoffen für die Medizin beziehungsweise als Lieferanten von Vorlagen für synthetisch hergestellte Wirkstoffe. Und, vor allem, Pilze als Zersetzer: Als solche erbringen unzählige von ihnen eine Mammutleistung für den Erhalt unseres Planeten.
Das Buch unterscheidet je nach Funktion der Pilze drei Blöcke:
• Die Symbionten (Pilze, die mit Bäumen, Sträuchern, Gräsern, Kräutern und Blumen in einer Ernährungsgemeinschaft leben),
• die Parasiten (Pilze, die lebende Pflanzen, andere Pilze, Insekten und Tiere schädigen oder töten) und
• die Destruenten (Pilze, die als Zersetzer den Abbau von Totholz, Streu und anderem organischem Material betreiben).
Weil viele Parasiten zu Zersetzern werden, werden sie zu einem Block („Parasiten und Zersetzer“ bzw. „Vom Parasiten zum Zersetzer“) zusammengefasst.
Großpilze decken den Bereich „Symbionten“ bzw. „Mykorrhiza“ ab. Als die fotografisch eindrucksvollsten seien genannt: Flockenstieliger Hexenröhrling (Boletus erythropus), die seltene Fuchsrotkappe (Leccinum vulpinum), der Schönfußröhrling (Boletus calopsus) sowie der tückische Spitzgebuckelte Raukopf (Cortinarius rubellus), dessen Orellanin-Gift die Nieren zersetzt.
Die oben beschriebene Puppenkernkeule ist einer von vielen faszinierenden Pilzen, die Holzer in Fadenwesen. Fabelhafte Pilzwelt unter „Parasiten und Zersetzer“ vorstellt. Die Informationen zu fast allen ihrer Vertreter lesen sich spannend wie ein guter Krimi.
Zwei weitere von ihnen sollen hier noch vorgestellt werden.
Liefert der Schwarzborstling bald ein Super-Antibiotikum?
Wer von uns weiß schon, dass der Glänzende Schwarzborstling (Pseudoplectania nigrella), ein unscheinbarer Frühlingspilz, einen Wirkstoff namens Plectasin enthält, der 200mal stärker antibiotisch ist als das derzeit stärkste Antibiotikum auf dem Markt.
Gegen Plectasin sind bislang noch keine Resistenzbildungen aufgetreten. Ein Medikament mit diesem Wirkstoff wird derzeit von einem französischen Pharma-Konzern klinisch erprobt. Vorklinische Studien verliefen sehr erfolgversprechend. Plectasin wird deshalb als Stoff mit hohem therapeutischem Potential eingestuft. Mehr dazu gibt es hier.
Foto rechts: Aus dem Glänzenden Schwarzborstling, ein kleines unscheinbares Pilzchen aus der Ordnung der Becherlingsartigen (Pezizales), konnte der Wirkstoff Plectasin isoliert und nachgebaut werden. Von ihm erhofft sich die Pharmazie ein hoch wirksames Antibiotikum. (Foto © Christian Olsson)
Sonderauftritt für die Zitronengelbe Tramete
Einen Sonderauftritt im Buch Fadenwesen. Fabelhafte Pilzwelt genießt die weltweit sehr seltene Zitronengelbe Tramete (Antrodiella citrinella). Sie ist ein flacher, schäumig aussehender Porling von nur wenigen Zentimetern Ausbreitung.
Nach einigen Jahrzehnten der Abwesenheit tauchte Antrodiella citrinella bei einer Pilzinventur 2006 im Nationalpark Bayerischer Wald in nahezu jedem Probefeld wieder auf. Aus seinen letzten, etwa 30 Kilometer entfernt liegenden Refugien hatte sich der Pilz wieder in das Rachel-Lusen-Gebiet zurückgekämpft. Dorthin also, wo er vor intensiver Forstbewirtschaftung einmal heimisch gewesen war.
Foto: Dies ist keine Zitronengelbe Tramete, sondern ihr beliebtester Wirtspilz: Das Foto zeigt einen jungen Rotrandigen Porling oder Fichtenporling (Fomitopsis pinicola) mit Gutationstropfen. Die Zitronengelbe Tramete zersetzt im Handumdrehen Fichtenporlinge, um sodann dem Wirtsholz den letzten Rest zu geben. (Foto © p-p-s.com)
Warum war die Zitronengelbe Tramete zurückgekommen?
Der
Pilz benötigt große Mengen an totem Holz, um fruktifizieren zu können.
30 bis 40 Kubikmeter Totholz pro Hektar reichen für ihn bei weitem nicht
aus. Eine Studie zeigte: Bei 144 Kubikmetern Totholz/Hektar findet die
Zitronengelbe Tramete ideale Ausbreitungsbedingungen vor. Und: Je
vielfältiger der Zersetzungsgrad von totem Holz, desto besser kann
dieser Pilz Fuß fassen.
Er arbeitet intensiv in späten
Zersetzungsstadien und wehrt sich dabei mannhaft gegen Konkurrenz. Auf
diese Weise ist er ein idealer Pilz, um Totholz endlich in die
ursprünglichen organischen Ausgangs- und Nährstoffe zurückzuverwandeln.
So ist er letztlich ein hoch effizienter Helfer, der den natürlichen
Wiederanwuchs etwa auf Windbruchflächen einleiten hilft.
Voraussetzung
dafür, dass er möglichst wirksam „arbeiten“ kann, ist die konsequente
Ausweisung von großflächigen Naturschutzgebieten...
Solch lesenswerte und lehrreiche schöne Geschichten über Pilze schreibt Heinrich Holzer in Fadenwesen. Fabelhafte Pilzwelt auf.
Fadenwesen. Fabelhafte Pilzwelt ist ein Buch über Pilze im Bayerischen Wald. Dennoch ist es ein Muss für jeden ambitionierten Pilzfreund im deutschsprachigen Raum, selbst wenn er ausschließlich „auf Küche“ sammelt. Und für Biologielehrer. Und für Natur- und Fotofreunde.
Warum?
Weil das Buch ein sanftmütiger Lehrmeister für den verantwortungs- und vielleicht sogar liebevollen Umgang mit der Natur ist.
Es besticht mit brillianten, teils magischen Fotos. Seine Texte reißen mit, das unbekannte Wissen ist kriminalspannend. Begierig saugen wir Fakten auf: Wer weiß schon, dass das Reich der Pilze zehn Mal größer geschätzt wird als das der Pflanzen... Wer kennt schon jenen Pilz, der uns im September mit seinem Flieder-, Rosen- und Hyazinthenduft betört? Im Bayerischen Wald gibt es ihn...
Wo Lehrermangel für den Biologieunterricht besteht, händige man den Schülern einfach dieses Buch aus. Ziemlich sicher wird es ihren Lerneifer anstacheln und ihre Seele berühren.
Über einige Interpunktionsfehler lesen wir wohlwollend hinweg. Schade, dass das Buch ein nur kurzes Glossar bietet und dass es an einem Sach- und Stichwortregister fehlt, die es ermöglichten, den einen oder anderen interessanten Pilz schnell wieder zu finden.
So gibt es für Fadenwesen. Fabelhafte Pilzwelt statt einer Eins mit Sternchen „nur“ die
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Trockene Wälder, wochenlang kaum oder gar keine Pilze... Das muss nicht sein! Mit der vorzüglichen Pilzbrut von Hawlik hat das ein Ende. Wie wäre es zum Beispiel mit köstlichen Limonenpilzen?
Ausgefallene Pilzgerichte wie Kaffee mit Reishi, Steinpilze im Kichererbsen- und Kartoffelpürree, Sammel- und Gesundheitstipps und vieles mehr: Hier geht's zum genussvollen Stöbern in Wohlrabs Pilzreich
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Besonders für Einsteiger in die faszinierende Morchelsuche geeignet!
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